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Mit Lichtbehagen  

Mit Lichtbehagen
Der Jenaer Goethe
Essay mit 80 Fotografien von Karoline Krause
Achtung: Zweite Auflage im Dezember 2009!

quartus-Verlag, Bucha 2003/2009
176 S., Broschur im Großformat (25 x 18,5 cm),
12,00 Euro

Zu bestellen über www.quartus-verlag.de
oder den Autor!
ISBN 978-3-936455-80-9

 


Ein anderer Goethe zeigt sich in diesem Buch: nicht der zum Denkmal erstarrte Dichterfürst, sondern ein Entdecker, Straßenbauer, Liebhaber, experimenteller Autor, der für immer längere Zeit aus Weimar nach Jena floh. Wie war das mit dem Zwischenkieferknochen? Was verband ihn mit Schiller? Hat er Fichte vertrieben?
Mit teils ganzseitigen schwarz-weiß-Fotografien von berührender Melancholie.

Die Presse urteilt:

... die produktivste Station in Goethes Leben.“ Thüringische Landeszeitung

„Ohne Jena wäre Goethe nicht in Weimar geblieben“
Ostthüringer Zeitung„

Dwars erzählt ausführlich und schön ...“
Neues Deutschland

„Mit stupender Belesenheit und intimer Ortskenntnis vermag Dwars, mitreißend Goethes Jena-Aufenthalte zu schildern.“ Junge Welt

 

Leseprobe



Goethe im Ringen mit der Saale
(leicht gekürzt)

Neun Akten im Jenaer Stadtarchiv berichten von einer Jahrtausendflut: Nach einem besonders strengen Winter, der die Saale ungewöhnlich tief gefrieren ließ, hatte am 26. Februar 1784 Tauwetter eingesetzt. Starker Regen brachte zudem die Schneemassen zum Schmelzen, so daß der Fluß zwei Tage darauf über seine Ufer trat. Nun aber geriet das „mehrere Ellen dicke Eis“ in Bewegung, die Schollen rissen Häuser, Scheunen und Ställe der Saalevorstadt mit sich, verkeilten sich ineinander, türmten sich wie Mauern auf und drohten den Strom in die Stadt zu lenken. Schon stand das Wasser bis zur Oberlauengasse, hatte die Wache davon gejagt und das Schloß in eine Insel verwandelt.

Am 29. Februar kam der Herzog aus Weimar, und mit ihm Goethe, der soeben in Ilmenau das Bergwerk wiedereröffnet hatte. Carl August, heißt es in einem Bericht, habe es als erster gewagt, „die gefährlichsten Fluten des reissenden Strohms zu befahren und sich auf schwachen Kähnen in die Saalevorstadt übersetzen zu lassen“, wodurch er seine getreuen Untertanen belebte, ein gleiches zur Rettung ihrer seufzenden Mitbrüder zu tun.

Das Schlimmste ist das Chaos, die Kopflosigkeit: „Alles rennt durch einander, die Vorgesetzten sind auf keine ausserordentlichen Fälle gefasst, die Unglücklichen ohne Rath und die Verschonten unthätig“, schreibt Goethe an Frau von Stein. Deshalb ging der Herzog voran, um die verzagten Bürger aus ihrer Lethargie zu reißen. Der Freund und Vertraute soll den Rest regeln. Er bleibt bis zum 4. März, bis das Nötigste geordnet ist.

Acht Tage später schreibt ihm Bürgermeister Paulßen aus Jena im Namen seiner Ratsmitglieder: „Mit dem wärmsten Gefühle verehren wir und hiesige Bürgerschaft in wahrer Ehrfurcht die auf Höchst Ihro Herzogl. Durchlaucht huldreichste Adprobation von Ew. p. zur Erhaltung derer durch ganz außerordentliche Wassernoth und unglückliche Eisfahrth in die größte Bedrängniß versetzten Bewohner hiesiger Vorstadt getroffene besten und glücklichsten Veranstaltungen. Über den baldigen und erwünschtesten Ausgang Hochdero ruhmvollen Bemühungen ganz von Freude belebt und über die herrlichsten, auch geschwindetsen Vorkehrungen eines so preiswürdigen Ministers von submisser Verehrung ganz entflammt, würde uns doch der Gedanke beunruhigen, daß wir nicht im Stande, die Empfindungen unserer dankvollen Seelen nur mit Worten im gantzen Umfang zu schildern. ... In tiefster Erniedrigung und Ehrfurcht sind wir bis an das Ziel unserer Tage / Ew. p. / unterth. gehorsamst / Bürgermeister u. Rath daselbst.“

Kurz: der hochverehrte Herr Geheimrat möge sich für die Stadt verwenden und das Möglichste aus den knappen Kassen des Landes herausschlagen. Am 30. April eröffnet er dem Bürgermeister im Jenaer Schloß, daß der Herzog 4000 Taler für die nötigsten Reparaturen vorschießen werde und durchaus nicht abgeneigt sei, zerstörte Gebäude zur Hälfte und Gärten sowie deren Befriedung zu einem Drittel zu entschädigen. Allerdings müsse man dafür die aufgelisteten Fälle und deren Umstände noch einmal durchgehen.

Nach einem zweitägigen Ortstermin erklärt Goethe, die „Beaugenscheinigung“ und gründliche Untersuchung habe merklich vor Augen geführt, daß die gewürdigten Schäden den vorgefundenen nicht gemäß seien und „vielfältig die Arbitrierung, welche ihren wahren originem nicht in der letzten großen Eisfarth und Wasserfluth, sondern schon vorher in dem Alter der Gebäude und sonstigen Ursachen gefunden, denselben mit in Computation gebracht“.

Im Klartext: Die guten Bürger hatten versucht, manch älteren Schaden der Katastrophe unterzuschieben. Aber Goethe, der so wortreich Umworbene, wollte das Spiel auf Kosten des Herzogs nicht mitmachen. Eine erneute Beaugenscheinigung im Beisein eines Taxators, eines sachkundigen Schätzers, wird angeordnet.

Er will nicht nur Schäden im Nachhinein beheben, vorausschauend gilt es sie zu vermeiden. Denn fast jedes Frühjahr stieg die Saale bei Jena über ihre Ufer. So auch schon im Januar 1783. Damals erwies sich, daß sie über kurz oder lang die Nürnberger, die heutige Kahlaische, Straße unterspülen würde. Denn die Saale verlief oberhalb der Rasenmühle in einer großen Schleife, hatte durch Nebenarme drei Inseln gebildet und stieß im rechten Winkel auf die Straße, die bei Hochwasser und Eistreiben eines Tages einstürzen mußte. Goethe schlug deshalb vor, die Schleife zu durchstechen, die Strömung des Wassers parallel zur Straße abzuleiten und die übrigen Flußarme trocken zu legen. Ingenieur-Hauptmann Castrop, der ihm schon in der Wegebaukommission zur Seite stand, nahm die Idee auf und entwarf einen entsprechenden Plan, der im Mai 1783 verwirklicht wurde.

Die Kosten des Durchstichs beliefen sich bis zum August auf 578 Taler, von denen knapp ein Viertel die Anlieger übernehmen sollten, während der Rest vom Herzog aus der Kammerkasse gezahlt und unter „Verbesserungen im Lande“ verbucht wurde. Doch die meisten Anlieger wollten ihren Teil nicht leisten, obwohl der Bau ihre Wiesen und Gärten sichern half. Eine bittere Erfahrung für den Geheimrat, die gewiß seine distanzierte Haltung zu den Hochwasserschäden von 1784 mitbestimmt hat. Inwieweit dabei auch der Durchstich zu Schaden kam, ist nicht überliefert. Noch mehrfach wird er erneuert, bis 1790 die Arbeiten fertig sind und die Straße als gesichert gilt. Seitdem fließt die Saale in ruhigem Bogen zum Wehr an der Rasenmühleninsel hinab.

Übrigens erhebt sich auf den damals gewonnenen Wiesen heute das Stadion des Fußballclubs „Carl Zeiss“. Wer auf dem Weg dahinter zum Schleichersee wandert, kommt an einem geschützten Biotop vorbei – dem letzten Zeugen für den einstigen Flußverlauf. So lebt man in Jena mit Goethes Spuren, ohne sie zu ahnen.



Herstellung: poliTEXTbüro Update: 25.05.2018