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Bücher
Neue Briefe über die ästhetische Erziehung des Menschen

 

Neue Briefe über die ästhetische Erziehung des Menschen
Ein Gespräch mit Friedrich Schiller

Edition Ornament im quartus-Verlag, Bucha 2004

64 Seiten, Fadenheftung in Engl. Broschur, mit mont. Porträt auf Bütten und weinrotem Lesefaden. Einmalige Ausgabe in 500 num. Exemplaren
ISBN 3-931505-54-5
EUR 14,90

Vorzugsausgabe
mit zwei Originalholzschnitten von Jens-Fietje Dwars
49,90 EUR

Nur noch 3 Exemplare der Vorzugsausgabe lieferbar!
Normalausgabe ausverkauft!

Zu bestellen beim Autor

Holzschnitte für die Vorzugsausgabe in 50 Exemplaren:

Links: Schiller. Nächtig. Dreifarbiger Holzschnitt auf China-Papier
Rechts: Schiller. Palimpsest. Dreifarbiger Holzschnitt auf Blättern der Schiller-Werke von 1838
Beides Handabzüge von drei Druckstöcken.
:
Ein Essay zum 200. Todestag von Friedrich Schiller
.

Die Presse urteilt:

„...ein ansprechend gestaltetes Bändchen.“
Ostthüringer Zeitung

„...ein schönes Büchlein, frei und frech im Ton.“
Thüringiche Landeszeitung

„...nicht lediglich ein weiteres Schiller-Buch, sondern eine furiose Auseinandersetzung mit der Gegenwart.“
Neues Deutschland

„Ein schauenswertes Dinglein fürwahr, das mit aller Hochachtung zu genießen sich unterstand Matthias Biskupek“
Thüringer Allgemeine

"... eine philosophisch-essayistische Erörterung Schillerscher Positionen, des Unerledigten seines Menschen- und Gesellschaftsentwurfs ... Was ist mit Schiller heute anzufangen? Fragt der Verfasser, das Scheitern einer als sozialistisch ausgegebenen Arbeits- und Arbeitergesellschaft und den eigenen geistigen Werdegang in ihr kritisch bedenkend."
Jürgen Engler, in: Marginalien. Zeitschrift für Buchkunst und Bibliophilie, 3/2013

 
Leseprobe


ERSTER BRIEF


Wie schreibt man Briefe an einen Toten? Überhaupt, Briefe zu schreiben, welch anachronistisches Unterfangen im 21. Jahrhundert. Wir schreiben E-Mails, bestenfalls, wenn der andere telefonisch nicht erreichbar ist. Wenn er zu der schrumpfenden Minderheit zählt, die kein Funktelefon besitzt, kein Handy auf Neuhochdeutsch, oder keinen Anrufbeantworter. Dann schreibt man eine E-Mail, electronic mail: kurz, klar, das Wichtigste, zu digitalen Zeichen komprimiert und von Computer zu Computer in wenigen Sekunden gesandt. Doch was ist das Wichtigste?
Beim Zeus, in was für Nöte Sie mich bringen. Nur, weil ich Ihnen schreiben will. Einem Toten, nein, einem Unsterblichen. Sie müßten sie sehen, diese Berge von Büchern, die gleichsam aus dem Nichts, wie eine Springflut aus dem Geplätscher der Literaturwellen aufschießend, die Buchläden seit einem halben Jahr überschwemmen. Ein doppelt heikles Bild, ich gestehe es.

Denn freilich kommt der Bücherstrom nicht aus dem Nichts, Ihrem Werk ist er entwachsen. Ein Geist nährt noch immer hundert Geisteswissenschaftler, von dem Heer der Geistbeschwörer ganz zu schweigen. Ihr Freund, wenn man ihn so nennen darf, der Geheime Rat in Weimar drüben, hält eine wahre Industrie in Lohn und Brot. Zwar ist der VEB Goethe stiften gegangen, aber auch als GmbH lebt man leidlich von seinem Werk, und manche Ich-AG dazu. Klassik als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme. Das Kauderwelsch der neuen Zeit, wie soll ich es Ihnen übersetzen? Verstehen wir es doch selber kaum. Wie erklären, daß Kultur ein Geschäft ist, Herr Schiller, Ihr Todestag ein Lichtblick für vielerlei Gewerbe. Zynisch sind die Verhältnisse, nicht der, der sie benennt. Jetzt endlich, schreiben die Journale, sei Ihre Stunde gekommen, würden Sie aus dem Schatten Goethes treten, den der Ihre doch zu Lebzeiten schon um einen Kopf übertraf. Mehr noch: ein ganzes Jahrhundert hatte Sie zum Lieblingsdichter der Deutschen erkoren. Wie konnten Sie nur so gründlich ins Hintertreffen geraten? Es gab noch Museen, zweifellos, eine Gesellschaft und ein Jahrbuch mit Ihrem Namen. Doch seien wir redlich, gestehen wir uns und Ihnen die Wahrheit, die Sie selbst zur höchsten Richterin erhoben. Die bittere Wahrheit aber lautet, daß niemand vor nur einem Jahr nach Ihren Texten verlangt hat. Nichts lag uns ferner, als Ihr Idealismus, Ihr Pathos, Ihre Begeisterung, die nur noch aus Pietätsgründen im germanistischen Oberseminar gestreift wurden, die als Rohstoff lediglich jene Autoren beschäftigten, die im Auftrag ihrer Verlage die Bücher zu schreiben begannen, deren Flut uns heute ereilt.

Flut – ein Wort, das sich anders liest, seit vor drei Monaten eine Sturmwelle die Welt heimgesucht hat. Ein Erdbeben, vergleichbar mit jenem, das Lissabon in Ihrer Kindheit verschlang, hob den Ozean im Südosten Asiens über die Ufer, riß Einhundertfünfzigtausend Menschen in den Tod, versetzte Millionen in Not und Schrecken und hat Milliarden bewegt. Sie hören recht: Milliarden, sechs Milliarden Menschen bevölkern die Erde. Ein Fünftel davon lebt in einer reichen Welt, die sich die erste nennt, die Mehrzahl dagegen in einer anderen, die man in den Nachrichten noch immer, aus Gewohnheit, die dritte heißt. Obwohl die zweite Welt, die sich vor zwanzig Jahren noch waffenstarrend als unerschütterliche Macht behauptet hat, längst verschollen ist, untergegangen in einem anderen Beben.

Von alledem will ich Ihnen berichten, von den Wellen, die unser Leben erschüttern, die uns empor tragen und in jähe Tiefe stürzen. Und dann mag sich zeigen, ob Ihre Ideen, Ihre Briefe über die ästhetische Erziehung, diese Flaschenpost im Strom der Zeiten, noch Bestand haben. Auch Ideen, Herr Schiller, sind vergänglich, ihre Verwirklichung gebunden an die Bedingungen von Raum und Zeit. Wer den Kairos nicht ergreift, die Chance des Augenblickes, dem bleibt nur die Trauer über versäumte Möglichkeiten. Und die Unsterblichkeit? Ist ein Gespräch: So lange wir uns eines Menschen erinnern, lebt er ins uns fort, so lange seine Fragen uns bewegen. Fragen, wie die nach der Schönheit in dieser hässlichen Welt, mit all ihren Freuden, Leiden, Grausamkeit und Liebe dennoch. Wie und ob der Mensch denn zu erziehen wäre, dessen Technik die Erde wie ein Titan umfasst und der ratloser denn je auf das Tagwerk seiner Hände blickt.



Herstellung: poliTEXTbüro Update: 05.05.2020