| Nachwort
 
 Vom 
                    Juckreiz der Bilder
 Wenn es stimmt, dass jedes wahre Gedicht ein Geheimnis hat, 
                    das es unergründlich, also unendlich ausdeutbar macht, 
                    dann sind diese Nadelstiche in Schlangensprache wahrhaftige 
                    Dichtung: enigmatisch, wie der Kenner raunt, rätselhaft, 
                    flüchtig wie der Wind, ein Wispern, leise unaufdringlich, 
                    und doch präzise, genau gearbeitet, streng gebaut. Kunstgebilde, 
                    organisch verwoben, eine Komposition aus Worten, die Verborgenes 
                    anrühren. Dem Gesang von Schamanen verwandt, Poesie als 
                    Akupunktur, die in den Nerv der Zeit sticht, um aufgestaute 
                    Energien wieder ins Fließen zu bringen. Oder anders: 
                    Übungen im Heimatmen, Versuche, sich der Wurzeln zu versichern, 
                    der ausgerissenen, in einem schuppigen Land, das sich permanent 
                    häutet.
 Da ist von etwas die Rede, das auch die Zeichnerin umtreibt. 
                    Beide gehören einer Generation an: Christian Rosenau, 
                    1980 in Weimar geboren, hat Klassische Gitarre studiert und 
                    lebt als freischaffender Musiker, Musikpädagoge und Lyriker 
                    in Coburg. Ulrike Theusner wurde 1982 in Frankfurt/Oder geboren, 
                    ist in Weimar aufgewachsen und hat dort die Bauhaus-Universität 
                    absolviert. Später ging sie nach Nizza, fand Galeristen 
                    in Paris und New York.
 In der DDR geboren, erlebten beide als Kinder den Auf- und 
                    Umbruch, der heute nur „Wende“ heißt, wuchsen 
                    hinein in die Öffnung ins Freie, verkörpern geradezu 
                    dieses Hineinwachsen ins Offene. Eine glückliche Generation, 
                    sollte man meinen. Doch das Offne ist auch das haltlos Ungewisse, 
                    das Andere, wonach sich die Generation ihrer Eltern sehnten, 
                    ohne darauf vorbereitet gewesen zu sein. Diese Glückskinder 
                    sind Erben gescheiterter Träume. Und die Begabtesten 
                    unter ihnen, die mit Feingefühl Geschlagenen, spürten 
                    früh den Verlust im Gewinn: die Hoffnung, die dem zerfallnen 
                    Staat einmal zugrunde lag, die sich in den Drill von Fahnenappellen 
                    verkehrt hatte, in den Pioniergruß, der mit erhobener 
                    Hand eine Furche ins Hirn zog, und dennoch nachhallte im Kinderlied 
                    von der Heimat, die mehr sei als die Städte und Dörfer 
                    ...
 Diese Generation des Umbruchs ist nirgends zuhaus, weder in 
                    der alten, noch in der neuen Welt, eben weil ihr beide als 
                    fertige Muster übergestülpt wurden, ohne eigene 
                    ausbilden zu können. Sie sind angespült in diese 
                    Zeit, sie wissen, dass die Wurzel ... krank war, sie sahen 
                    1989 auf andere Art hoffnungstrunkene Gesichter mit Kerzen 
                    bewaffnet, und sie erlebten die Erosion jeglicher Autoritäten, 
                    den Zerfall der bärtigen Büsten, die leere Sockel 
                    hinterließen.
 Als Musiker spielt Christian Rosenau dieser brüchigen 
                    Welt ihre eigne Melodie in Worten vor, Worte, die an Schnüren 
                    hängen, viel gebraucht, vor Missbrauch nicht geschützt. 
                    Indem er die überkommenen Wörter wie Fremdkörper 
                    behandelt, sie aus gewohnten Zusammenhängen herauslöst 
                    und neu kombiniert, bringt er sie in unverbrauchten Bildern 
                    zum Leuchten: da ist von Augenfell die Rede, von der Fontanelle 
                    des Mondes, den Kiemen der Stadt, von der Klinge des Mittags 
                    und Gedächtnismedusen. Bilder, die sich eingraben, die 
                    als Juckreiz im Leser weiterwirken, als anhaltende Verunsicherung. 
                    Oft melancholisch getönt, doch nie sich im Jammer gefallend. 
                    Und wer hat je so abgründig schön den Raps besungen, 
                    diese fraglos blühenden Landschaften der Agrarindustrie, 
                    die Metastasen der Wachstumsgesellschaft, wo der Wolf ... 
                    durchs Feld zieht und das Rattern immer näher kommt ...
 Ulrike Theusner hat als Modell die Glanz- und Kehrseiten der 
                    schönen neuen Glitzerwelt kennengelernt und zeigt beides 
                    in ihren Bildern. Sie illustriert die Gedichte nicht. Bild 
                    und Text erzeugen vielmehr eine spannungsvolle Einheit, die 
                    beide potenziert. So folgen wir gern dem Wanderer, der uns 
                    eingangs ins Offne lockt, um zuletzt seinen eigenen Weg zu 
                    gehn.
 
 
 Pressestimmen  Wenn Lyrik die Kunst ist, mit 
                    Worten zu musizieren, so trifft dies auf Christian Rosenau 
                    ganz besonders zu. Rosenaus Wort-Kunst lebt vom Klang und 
                    den Bildern, die sie beschwört - oftmals ungewöhnlichen, 
                    verrätselten Bildern, die entschlüsselt werden wollen, 
                    die dazu einladen, hineinzuhören in den Rhythmus der 
                    Silben und Worte.Jochen Berger, Coburger Tageblatt.
 
 Schlaglichtartig, assoziativ, bilderfrisch tmd sprachfunkelnd 
                    reflektiert Christian Rosenau Erlebtes, Erspürtes, Erträumtes. 
                    Fokussiert die große Geschichte mit dem persönlichen 
                    Teleskop, erzählt zwischen den Zeilen von Aufbruch und 
                    Abbruch, von Hoffnungen und Enttäuschungen und von den 
                    Strategien des Weiterlebens ... bedachtsame, hintergründige, 
                    oftmals verrätselte Poeme, die voller Musikalität 
                    stecken und von einem feinen Sensorium für die Welt zeugen, 
                    ... von der Weimarer Künstlerin Ulrike Theusner kongenial 
                    illustriert.
 Neue Presse, Coburg
 
 Um es gleich vorweg zu nehmen. Der schmale Band ist 
                    ein Fest für die Sinne und den Verstand. Vielleicht liegt 
                    das an der Doppelbegabung Rosenaus, der Musiker und Dichter 
                    in einem ist. Der Rhythmus seiner Gedichte, ihr musikalischer 
                    Fluss paart sich mit einer sicheren Bildsprache und einem 
                    klaren Aufbau der Gedichte. Sie sind akkurat gearbeitet, nicht 
                    das kleinste Detail wird dem Zufall überlassen. Doch 
                    die Spuren des Handwerklichen sind nicht mehr sichtbar. Es 
                    ist allein der Atem des Lyrikers zu spüren. (...)
 Die aufsteigenden Kindheitserinnerungen und frühen Bilder 
                    werden solange beatmet, bis sie Teil der Heimat und des Gedichts 
                    werden. So gelingt Christian Rosenau etwas bislang für 
                    unmöglich Gehaltenes: In seinen Gedichten wird das, was 
                    jedem in die Kindheit scheint und später nicht festzuhalten 
                    ist, eben das, was Ernst Bloch „Heimat“ nannte, 
                    als Bild und Klang manifest.
 Im rhapsodisch anmutenden Gedichtzyklus "unsere Heimat" 
                    erzählt Christian Rosenau, wie seine Generation die letzten 
                    drei, vier Jahre der DDR in der Schule, wie sie die Demonstrationen 
                    im Herbst 1989, die deutsche Vereinigung und das Erwachsenwerden 
                    erlebte. Wohl nie zuvor hat ein Lyriker beschrieben, 
                    wie Kinder den Übergang von der geschlossenen in die 
                    offene Gesellschaft reflektiert haben, wie sie mit 
                    den Verunsicherungen ihrer Eltern und Lehrer leben mussten, 
                    wie der Schein der Kerzen in ihnen Hoffnungen weckte, die 
                    nie erfüllt wurden und wie sie bis heute den „Weg 
                    ins Offene“ zugleich als Chance für ein gewinnendes 
                    Leben und als Gefahrenzone empfinden. (...)
 In seinen schönsten Gedichten wie "des Regens dünne 
                    Schrift", "im Kiesbett der Silben" und "Aufbruch" 
                    findet er zu einer wundersamen Verschmelzung von „äußerer 
                    und innerer Wirklichkeit“. Diese feine Mischung 
                    von „Realem und Phantastischem“ findet sich auch 
                    in den Zeichnungen der Weimarerin Ulrike Theusner.
 Die lyrischen und die gezeichneten Bilder ergänzen einander 
                    spannungsvoll. Sie kommunizieren mit einander. Christian Rosenaus 
                    Nadelstich und Schlangensprache sei allen Lyrik-Freunden wärmstens 
                    empfohlen.
 Dietmar Ebert, Palmbaum, Heft 2/2018
 
 Am pointiertesten und kunstvollsten (arbeitet 
                    Rosenau) zweifellos im Zyklus „unsre Heimat“, 
                    der das Ende der DDR und die ersten Jahre der deutschen Einheit 
                    in Form schlaglichtartiger Reminiszenzen der Schuljahre ’86 
                    bis ’95 in Szene setzt. Ohne Verklärung, ohne Lamento 
                    und ohne die Attitüde objektiv-distanzierter Historisierung, 
                    doch nadelspitz in den lakonischen Schlusswendungen, die sich 
                    wie Widerhaken ins Gedächtnis bohren. (...) So 
                    knapp, so gekonnt wird die Sprache des ‚erinnerten‘ 
                    Einst und des ‚erlebten‘ Jetzt gesiebt und gesichtet 
                    – mit offenkundiger Freude an der Sache und stets überzeugendem 
                    Ergebnis. Sprachspielerisch etwa in den „Rapsodien“, 
                    zehn wort- und bildgewaltigen Variationen zum Thema Raps: 
                    „Raps, wohin das Auge schäumte, / Raps // und Häuser, 
                    Inseln, Rispenmeere / schimmerten heran, / Dächer, Türme, 
                    Kirchenschiffe / kenterten mit Huhn und Hahn“. Mitunter 
                    aber auch mittels befreiender Komik, so im bitterbösen 
                    „Jagdnotat“: „kein Schuss nur die Axt / 
                    aus der Zunge // mein Kind.“ Komik und Bitternis 
                    verbinden auch die Zeichnungen Ulrike Theusners, 
                    die dem sorgsam ausgestatteten Band beigegebenen sind .... 
                    Überaus passend dazu die bibelschwarze Broschur der Edition 
                    Ornament mit dem dunkelrot züngelnden Lesebändchen. 
                    Buchgestalterisch lässt sich die Luzidität 
                    der Texte kaum wirkungsvoller in Szene setzen – 
                    auch für bibliophile Leser wahrhaft die helle Freude!
 Stefan Borchers, Ostragehege (II/2019)
 
 
 
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