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Jens-Fietje Dwars
/ Siegfried Wagner
Fortgesetzte Spiegelungen.
Bilder & und Geschichten zur Entdeckung des Naumburger
Meisters aus fünf Jahrhunderten. Hrsg. vom Museumsverein
Naumburg.
72 Seiten, 150 Farb-Abb.,
6,80 EUR
quartus-Verlag,
Bucha bei Jena 2011
Begleitheft zur Rezeptions-Ausstellung
im Rahmen der Landesausstellung "Der Naumburger
Meister. Bildhauer und Architekt im Europa der Kathedralen".
Vergriffen! |
Seit knapp zwei Jahrhunderten beschäftigen
die „steinernen Wunder“ von Naumburg die Kunstwissenschaft,
mit vielfältigen, sich oft widersprechenden Ergebnissen.
Die populäre Rezeption setzte spät, dann allerdings
vehement, erst Ende der 1920er Jahre ein, stimuliert und
getragen durch eine Flut von Publikationen und Reproduktionen,
darunter die expressiven Aufnahmen des Naumburgers Walter
Hege, eines Pioniers der Architektur- und Naturfotografie.
Was war „der Meister“ nicht alles in der Geschichte
seiner Rezeption: ein wiedergeborener Pygmalion, ein suchender
Mystiker oder Waldensischer Ketzer gar, für die einen
ein Jahrtausendgenie, für andere nur eine Metapher,
ein Warenzeichen, hinter dem sich ein schnödes Steinmetz-Kollektiv
verbarg.
Uta, die an Berühmtheit bald alle Naumburger Bildnisse
in den Schatten stellen sollte, erschien einmal als „weinende
Braut“, als zarte Kindfrau an der Seite eines Grobians,
dann wieder als herrisch stolze Gattin oder geheimnisvolle
Diva. Wie die Naumburger Figuren zeitweise für die
vermeintliche Überlegenheit deutschen Wesens über
alles Welsche stehen mussten, erinnerten ihre traurigen
Nachbildungen in Gips und Ton in westdeutschen Nachkriegsstuben
an die barbarisierten Brüder und Schwestern im Osten,
während der Naumburger Meister und seine Werke heute
als Zeugen für die europäische Integration im
Mittelalter erscheinen.
Im Rahmen der Landesausstellung zum Naumburger Meister widmet
sich eine Ausstellung im Stadtmuseum „Hohe Lilie“
der Wirkungsgeschichte seines Werkes. Wobei der Ort gleichsam
schon das Thema vorgibt: ein Gebäudekomplex, der in
seinem Kern auf die Mitte des 13. Jahrhunderts zurückgeht,
doch durch alle nachfolgenden Zeiten wieder und wieder umgebaut
wurde – wie das Bild vom Naumburger Meister.
Indem die Ausstellung die 700-jährige Entdeckungsgeschichte
des unbekannten Meisters nachzeichnet, versucht sie zu ergründen,
warum er so verschieden wahrgenommen wurde. Wie bilden sich
Interpretationskonstrukte heraus und welche Wirkungen haben
sie? Wie formen sich die Bilder in den Köpfen der Betrachter?
Was tragen die Werke dazu bei? Was trägt der Betrachter
an sie heran? Und was verdankt sich dem „Zeitgeist“?
Die Ausstellung besteht aus zwei Räumen. In einem „Spiegelsaal“
können die Besucher die Stifterfiguren anhand von 11
kolorierten Gipsabgüssen aus dem ehemaligen Berliner
„Deutschlandhaus“ intensiver erleben als im
Westchor des Domes – in Originalgröße,
hautnah und zu ebener Erde. Verspiegelte Wänden eröffnen
ungewohnte Perspektiven, während der aufmerksame Beobachter
in sieben Informationskabinetten Hintergründiges erfährt:
Texte und Bilder, die verraten, wie jede Zeit sich selbst
in der Deutung des Naumburger Meisters spiegelt.
Der zweite Raum birgt ein Kuriositätenkabinett mit
Schließfächern der Geschichte: In 30 kleinen
Geschichten erzählen sie die große Wirkungsgeschichte
des Naumburger Meisters. Wertvolles steht neben (scheinbar)
Wertlosem und der Zufall regiert, eröffnet ungeahnte
Zusammenhänge – wie im richtigen Leben.
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